Dienstag, 23. August 2011

Darf man vergleichen?

Ein Buch über den „Historikerstreit“ der achtziger Jahre (Mathias Brodkorb [Hg.]: Singuläres Auschwitz? Adebor Verlag, Banzkow 2011) wird rezensiert, und zwar von Rudolf Walther. Dort wird die Behauptung «es sei bis heute „unzulässig, nicht nur den Holocaust mit anderen Genoziden zu vergleichen, sondern hinsichtlich seiner regressiven Qualität mit diesen gleichzusetzen“» abgefertigt: «Spätestens in der Debatte um das „Schwarzbuch des Kommunismus“ (1997/98) wurden solche Scheinprobleme geklärt: Ohne Vergleiche kommt kein Historiker aus. Die Vermutung, mit dem Vergleich von Verbrechen relativiere man diese automatisch, ist haltlos.» Der Autor stellt fest, daß am „Singularitätsdogma“ «„in der Geschichtswissenschaft heute kein ernsthafter Denker mehr festhält“ (Wolfgang Wippermann).»
Ich denke einige Jahre zurück. In seiner Festpredigt zum Dreikönigstag 2005 sagte Kardinal Meisner: «Zuerst Herodes, der die Kinder von Bethlehem umbringen läßt, dann unter anderem Hitler und Stalin, die Millionen Menschen vernichten ließen, und heute, in unserer Zeit, werden ungeborene Kinder millionenfach umgebracht.» Damals hat der Kardinal die Einzigartigkeit der Scho’a in keiner Weise bestritten; er hat sie nicht einmal mit irgend etwas anderem verglichen, hat sie nur in einer Zahl von Massentötungen unschuldiger Menschen mitaufgezählt. Dieser Verstoß gegen das „Singularitätsdogma“, dessen Ungültigkeit, wie ich jetzt von Rudolf Walther lese, damals schon längst geklärt war, reichte damals aus, einen gewaltigen Proteststurm gegen den Kardinal hervorzurufen. Meisner habe die Holocaust-Opfer beleidigt, meinte etwa Claudia Roth; die „Initiative Kirche von unten“ verlangte vom Kardinal eine Entschuldigung. Von dem bereits als Historiker und Publizist recht bekannten Rudolf Walther habe ich damals nichts zur Verteidigung des Kardinals mitbekommen.
Wenn es dabei einen geschmacklosen Vergleich der Scho’a gab, dann ist das deren Vergleich mit von Gott gewollten Opfern durch die Bezeichnung „Holokaust“, die Frau Roth ebenso wie viele andere wählte. „Holocaustum“ ist ein Wort, das aus dem Griechischen entlehnt ist, im Griechischen aber nicht verwendet wird; im Lateinischen erscheint dieses Wort – soweit ich sehe: ausschließlich – als Übersetzung des alttestamentlichen „Brandopfers“ oder gelegentlich auch „Ganzopfers“, also von Gott gewollter Opfer. «Benigne fac Domine in bona voluntate Sion, ut aedificentur muri Jerusalem. Tunc acceptabis sacrificium iustitiae, oblationes et holocausta», betet die Kirche (50 [51], 20 f.).

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