Mittwoch, 15. Januar 2014

Wie der Geist des Konzils das Licht der Welt erblickte


Die Bilanz, die Kardinal Siri über die Arbeiten der ersten Periode zog, war beunruhigend:
"Das Konzil hat enthüllt:
dass sich eine vage Form von Leitung der Kirche abzeichnet, die von der deutschsprachigen Gruppe und deren Verwandten oder Nachbarn repräsentiert wird. Diese ist auch aliquatenus organisiert. Es ist ein sehr partieller Versuch, von dem man nicht mit Sicherheit behaupten kann, dass ihn jemand als klaren und gewollten Plan im Kopf hat, aber er ist in den Fakten enthalten;
dass es eine Wut auf die Vernunft, die Theologie und das Recht gibt. Man siehe das Ziel des Kerygmalismus, das oft darin besteht, Tradition, Ecclesia etc. zu eliminieren. Dies geschieht eher unbewusst als bewusst, wird aber gestützt durch fehlende Intuition derjenigen, die möglichst alles an die Protestanten, die Orthodoxen etc. anpassen wollen;
dass in vielen Fällen die Literatur, nicht die Theologie vorherrschend ist. Viele schöne und auch gute Ausführungen sind literarische Betrachtungen des Dogmas und behandeln dieses nicht an sich; dass man von einer Theologia nova spricht und dass ihr Konzept und auch ihr Ziel ziemlich obskur und eventuell gefährlich erscheinen. Der Terminus Theologia nova ist von einem belgischen Theologen auf dem Konzil geprägt worden.
Das Klima, das diese erste Phase der Debatte kennzeichnete, wurde von Melissa Wilde als „kollektive Erregung“ bezeichnet. Mit diesem Terminus definiert der Soziologe Durkheim „den Zustand, in dem sich die Menschen befinden, wenn ... sie glauben, in eine Welt versetzt zu sein, die von derjenigen, die sie vor Augen hatten, völlig verschieden ist“. Dieser seelische Zustand ist aus Sichtweise der Soziologen die Frucht interpersonaler Beziehungen einer großen Gruppe von Personen, die zum ersten Mal zusammengekommen sind und ihrem ,Zusammensein‘ in einem Klima der Euphorie einen Sinn zusprechen. „Ein euphorischer Zustand“, erklärt nochmals Wilde, „ist das Ergebnis Zusammenkommens von Individuen, in diesem Fall, um Ehre zu erweisen, um zu diskutieren und um sieh für die Veränderung einer altehrwürdigen Institution, an die alle glühend glauben, einzusetzen.“
Dieses Phänomen ist unter den Historikern wohlbekannt. Ronald A. Knox hat eine gründliche Studie über den „religiösen Enthusiasmus“ erstellt und darin aufgezeigt, dass das Modell des „charismatischen Enthusiasmus“ ein seit den Zeiten der montanistischen Häresie stets wiederkehrendes Modell darstellt. Die Briefe von Msgr. Helder Cämara scheinen ein typisches Beispiel für dieses Klima der Selbsterhöhung zu liefern, die mit wenig geistlicher Unterscheidungsgabe dem Wirken des ,Heiligen Geistes‘ zugeschrieben wurde. Es überrascht daher nicht, wenn viele Bischöfe, die während des Konzils von P. Rocco Caporale interviewt wurden, ihre persönliche Erfahrung der ersten Sitzungsperiode auf den ,Heiligen Geist‘ zurückführten. In dieser Sitzungsperiode begann der ,Geist des Konzils‘ zu einem ,locus theologieus‘ zu werden.

Aus: Roberto de Mattei
Das Zweite Vatikanische Konzil. Eine bislang ungeschriebene Geschichte
Stuttgart (2) 2012

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